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02.11.2025
Herbstwanderung
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BeTTrum. Er kennt die Vorurteile. „Die Leute sagen gern, du machst ja nur Fingersport: Mal den Finger krumm machen und sich ansonsten nicht rühren“, berichtet Nils Weinreich.
Der 17-jährige Bettrumer ist Gewehrschütze – und im Einzel gerade vierfacher Landesmeister sowie einmal Vize geworden. Das alles aber nur, weil er mehr macht, als den Finger krumm. Und weil er sich über den Sport Tugenden angeeignet hat, die ihm auch im Alltag oder der Schule weiterhelfen.
„Er hat Ruhe, Konzentration und Vernunft durch den Sport gelernt“, sagt Mutter Astrid Weinreich (43). Sie kann das gut einschätzen, ist sie doch Leiterin der Grundschule Hoheneggelsen. Angefangen hatte alles 2006. Zum Spaß schaute der damals Neunjährige mal beim KKS Schellerten vorbei und schoss auf einer Laser-Anlage. Ein Jahr später war er bereits zum ersten Mal Schützenkönig des Vereins, betrachtete das ganze aber nur als Hobby und Zeitvertreib.
Erst 2009 wurde mehr daraus. Der Luftgewehrschütze meldete sich bei der Braunschweiger Schützengesellschaft (BSG) an, wo er im Landesleistungs-zentrum optimale Trainingsbedingungen mit modernsten Luftgewehr-Schießständen vorfand. Hartes Training dreimal die Woche zahlte sich schnell aus. Nils Weinreich wurde schon 2010 Landesmeister mit der Mannschaft und 2011 Deutscher Vizemeister im Dreistellungskampf der Schülerklasse.
Nun ließ er es bei den Titelkämpfen des Niedersächsischen Sportschützen-verbandes (NSSV) im Bundesstützpunkt Hannover bei den Junioren B richtig krachen. Am meisten freut ihn der Sieg in der Königsklasse. In der Disziplin Freie Waffe 3x40 Schuss Kleinkaliber (kniend, liegend, stehend) gewann er mit 1123 von 1200 möglichen Ring.
Große Vorsprünge hatte er auch mit dem Sportgewehr 3x20 Kleinkaliber (562) und dem Luftgewehr stehend Freihand 40 (384). Nur drei Ring vorn lag er im Kleinkaliber 100 Meter stehend Freihand 30 (290), weil diese Klasse mangels Masse mit den A-Junioren zusammen-gelegt wurde. Im Kleinkaliber Liegend- kampf 60 (578) kam noch ein zweiter Platz hinzu – plus drei Titel mit der Mannschaft.
Eine derartige Ausbeute ist schon ziemlich selten. Kein Wunder also, dass Luftgewehr-Bundesligist KKS Nordstemmen früher oft angefragt hat, ob der Bettrumer nicht wechseln wolle. „Aber ich bleibe in Braunschweig, weil ich dort in Sven von der Osten-Fabek einen Top-Trainer habe, der inzwischen mein Freund ist“, sagt Nils Weinreich. Der Trainer hat ihn auch für das Rennrad begeistert, auf dem der 17-Jährige am Wochenende zusätzlich trainiert.
Jeden zweiten Abend läuft er außerdem eine halbe Stunde: „Man braucht auch beim Schießen eine ordentliche Fitness.“ Als einziger Hildesheimer Junior gehört er dem Landeskader an, der sich einmal im Monat trifft. Fast jedes Wochenende ist der 78 Kilo schwere 1,89-Meter-Mann in Sachen Schießen unterwegs. Zwei Kisten voller Medaillen zeugen von den Erfolgen.
Opa Herbert Ploppa hat in einem Ordner Fotos, Urkunden und Listen fein säuberlich archiviert. Für Bruder Jost (14) kommt gerade ein neuer hinzu: Er hat im Herbst 2013 mit der Luftpistole begonnen und sich jetzt als Fünfter der Landesmeisterschaft ebenso wie Nils Weinreich für die Deutschen Meister-schaften (DM) in München qualifiziert.
Zwar hat der 17-Jährige den Führer-schein auf Probe, aber alle Touren zum Training und den Wettkämpfen sind nur möglich, weil es sich Vater Volker Weinreich (43) zeitlich einrichten kann. Er ist im Moment mit Jost und Nesthäk- chen Henke (8), der Fußball spielt, im Jugendzeltlager des NSSV in Bad Fallingbostel.
Genau dort war das Talent von Nils im Jahr 2009 entdeckt worden. Mittlerweile ist er so gut, dass er in der Saison 2014/15 im Zweitligateam der BSG antreten soll. Mit dem erweiterten Realschulabschluss an der Albertus-Magnus-Schule in der Tasche, besucht er nun die Friedrich-List-Schule. An der Fachoberschule Wirtschaft kommt er nach den Ferien in die Abschlussklasse, weswegen er wohl weniger Zeit für seinen Sport haben wird. Ob danach eine Lehre oder ein Studium folgt, ist noch unklar.
Momentan steht die Vorbereitung auf die DM im Vordergrund, wo Nils Weinreich vom 22. bis 28. August fünf Starts absolviert. Morgen geht es zum Training nach Hannover, danach am Wochenende zum Endkampf der Jugendverbands- runde nach Suhl. „Wenn ich an der Schießlinie stehe, bin ich die Ruhe selbst. Aber gewinnen will ich immer – in diesem Kampf gegen sich selber.“
Cola oder Koffein sind tabu vor Wettkämpfen, Alkohol sowieso. Nachher schlägt der Schlacks aber gern im Schnellrestaurant zu. Natürlich hat er auch in puncto Amokläufe eine Meinung: „Schade, dass der Ruf einer faszinierenden Sportart dadurch so runtergezogen wird.“ Er freut sich schon auf den 17. März 2015 – dann wird er 18, darf allein Auto fahren und Papa kann zuhause bleiben.
„Volker wird es sich aber nicht nehmen lassen, mitzukommen“, glaubt Mutter Astrid. Nils denkt nicht, dass ihm Bruder Jost bei der DM in München den Rang ablaufen kann: „Das schafft er bei den einarmigen Banditen nicht.“ So nennen Gewehr- die Pistolenschützen – womit wir wieder beim Thema Vorurteile wären.
(Hildesheimer Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 6. August 2014)